Archivalien des Monats
In der Reihe „Das Archivale des Monats“ präsentiert das Stadtarchiv alle vier Wochen ein Objekt zur Ellwanger Stadt- und Heimatgeschichte. Meist handelt es sich dabei um Dokumente zu unterschiedlichsten Aspekten der Stadt-, Verwaltungs- und Alltagsgeschichte. Hin und wieder werden auch Objekte gezeigt, die man nicht unbedingt in einem Archiv vermuten würde.
Hier können Sie die bisher ausgestellten Archivalien und ihre Geschichte nachlesen.
Mai 2022 - Marktplatz-Kastanien
Seit Menschengedenken prägen Kastanienbäume den Ellwanger Marktplatz und spenden im Sommer willkommenen Schatten – doch seit wann eigentlich? Beschlossen wurde die Pflanzung einer „Allee“ aus Kastanienbäumen auf dem Marktplatz im Frühjahr 1830. Im März des folgenden Jahres wurden die Arbeiten ausgeführt. Gärtner Fischbach in Hohenheim, von dem die Pflanzen bezogen wurden, empfahl, die Kastanienbäume im Abstand von 30 Fuß (knapp 9 m) zu setzen und dazwischen Akazien zu pflanzen, die, „nachdem sie den Kastanien schädlich werden, wieder umzuhauen wären.“ Die Akazien sollten der Allee, die eigentlich ein Bogen war, für die ersten Jahre etwas mehr Volumen geben. Bestellt wurden beim Fischbach jeweils 20 Stück beider Sorten. Zehn Jahre später wurden die Akazien „abgeworfen und mit Reisern von Kleeb-Akazien gepfropft“, wie es in einem Bericht an das Königliche Oberamt vom 22. Oktober 1843 heißt. Da sich die Bäume nicht wie erhofft entwickelten, wollte das Stadtschultheißenamt die Akazien beseitigen. Dass man schon damals mit dem Fällen von Bäumen vorsichtig war, zeigt der Umstand, dass zuerst beim Oberamt deswegen angefragt wurde, denn man wusste: „das Fällen der Bäume geht schnell, dagegen ist ihr Heranwachsen langsam“. Seitdem war der Marktplatz mit mehreren Generationen von Kastanienbäumen besetzt, die halbkreisförmig vor der Basilika standen. Zuletzt war der Kastanienbogen zum 1200-jährigen Stadtjubiläum von 1964 erneuert worden. Auch wenn diese Anordnung erst vor wenigen Jahren bei der totalen Umgestaltung des Marktplatzes aufgegeben wurde, sorgen dort weiterhin Kastanienbäume für Schatten auf den Bänken und den „roten Sofas“.
April 2022 - Stadt der Elche, 1937
Im September 1930 erhielt Stadtschultheiß Karl Ettensperger von einem gebürtigen Ellwanger namens Dr. Paul Koenig eine Zuschrift mit einer interessanten Anregung: Bei einer Geschäftsreise nach Königsberg habe er neulich Elche in freier Wildbahn beobachtet. Er „zweifle nicht daran, daß das Einsetzen von Elchen in einem geeigneten Waldrevier nahe der Stadt eine hervorragende Anziehung von Fremden mit sich bringen würde.“ Koenig denkt groß: „Ich glaube, die kurze Empfehlung ‚Ellwangen, die deutsche Stadt der Elche‘ würde großen Fremdenzuzug bringen. Die Einrichtung sollte auf so weitem Raum geschehen, daß es als ein Glück angesehen werden müßte, einen Elch gesehen zu haben.“ Auch den Kontakt zu sachverständigen Stellen in Ostpreußen würde er herstellen. Wer nun denkt, dass dieser Vorschlag sogleich in die „Rundablage“ gewandert ist, liegt falsch. Der Vorgang zieht sich – wenn auch mit langen Unterbrechungen – über mehrere Jahre hin. Die Württembergische Forstdirektion riet dringend von der Elchhaltung im Stadtwald ab. Die Tiere seien hier erstens nicht heimisch und dann müsste bei der Haltung in einem weitläufigen Waldgehege mit enormen Verbissschäden gerechnet werden. Damwild sei die bessere Wahl, weil es sich in Parks gut halten lasse: „Vielleicht wäre der Sache mit Einsetzung dieses Wildes gedient, da das schaufelartige Geweih des Damhirsches an das des Elches erinnert.“ Damit war für die Stadtverwaltung die Angelegenheit vom Tisch. Bis am 7. September 1937 wieder ein Brief von Oberregierungsrat Dr. Koenig ankam. Er brachte den alten Vorschlag mit neuer Argumentation wieder an: Kein Geringerer als Hermann Göring habe mit dem Elchgehege auf seinem privaten Landsitz bei Berlin den Beweis erbracht, dass Elche auch in einem nur zwei Hektar großen Gehege erfolgreich gehalten werden können. NS-Bürgermeister Adolf Koelle war daraufhin motiviert genug, um die Angelegenheit der städtischen Revierförsterei zur Stellungnahme und dem Stadtbauamt zur Kostenkalkulation zu übergeben. Revierförster Wolf brachte ein 7 ha großes Grundstück mit Eichenwald an der Hurenklinge in Vorschlag, zu dessen Einzäunung ein 1,8 km langer Zaun nötig gewesen wäre. Ein stabiler Maschendrahtzaun mit Eisenbetonpfosten und Stacheldrahtauflage hätte über 6.000 Mark gekostet (heute etwa 25.000 Euro). Die Stadt alleine sei aufgrund ihrer Finanzlage dazu nicht im Stande, schrieb Bürgermeister Koelle an Dr. Koenig zurück, und ohne Privatspenden gehe es nicht: „Falls Sie in dieser Richtung Möglichkeiten sehen, oder gar selbst in der Lage sind, die Leistung solcher Beiträge zu tätigen oder zu ermitteln, bitte ich um Ihre weiteren Nachrichten.“ Oberregierungsrat Koenig antwortete abschlägig und bedauerte die Entscheidung des Bürgermeisters, gab aber seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Stadt irgendwann doch noch ein Elchgehege bauen werde. Dieser Brief wurde 1938 mitsamt dem Vorgang endgültig zu den Akten gelegt.
[C30/1990]
März 2022 - Hilferuf Heilig
Häusliche Gewalt war auch früher ein verbreitetes Problem – viel mehr noch als heute. Doch waren es beileibe nicht nur die Männer, die sich destruktiv verhielten. Im vorliegenden Fall aus dem Jahr 1828 wusste sich der Schuhmachermeister Bernhard Heilig nicht mehr zu helfen und bat den Stadtpfarrer um Hilfe. In einem langen Brief, der hier stark gekürzt wiedergegeben ist und zum besseren Verständnis sprachlich etwas geglättet wurde, trägt er seine Klagen vor und bittet den Geistlichen, seiner Ehefrau einmal ordentlich ins Gewissen zu reden. Sie sei nicht nur streitsüchtig, beleidigend und ehrabschneidend, sondern auch sehr unreinlich und koche so schlecht, dass sich sogar seine angestellten Schustergesellen (die damals beim Meister mit am Tisch saßen) ekelten und sich offen darüber beklagten. Seine Frau sei aber weder Bitten noch Ermahnungen zugänglich.
„Hochwürdiger Wohlgebohrner
Insonders Hochgeehrtester Herr Decan und Stadtpfarrer.
Erlaube ich mir Wohldenselben als Geistliche
Obrigkeit eine Klage gegen mein Eheweib
vorzutragen. […]
Vor 18. Jahren, nemlich im Jahr 1810,
heürathete ich die Wittwe des Schumachermeisters
Joseph Sedelmayer und habe mich seithero
so mit meinem Weib betragen, als wie
es einem ordentlichen Mann gebühret, und habe
mich Tag und Nach geplagt, meiner Haushaltung
als ein rechter Familienvater vorzustehen. […]
Bekannter Dingen ist mein Eheweib sehr unrein,
schmutzig, und ekelhaftig, was ich [ihr] aber - troz
aller Ermahnung, Bitten, und Einreden - seit
der Zeit, als ich geheürathet bin, nicht abzuge-
wöhnen vermag. Dieses schmutzige
Wesen ist nun der Grund zu vielen
Mißfelligkeiten in meinem Haus-
wesen, was besonders auch zur
Folge hat, daß meine Gesellen sich schon
öfter bitter über mich beklagt
haben, daß ich eine solche Unreinlichkeit
nur ansehen könnte und nicht eine
ordentliche, reinliche Person in die Küche
anstelle. Verlange ich nun, daß meine
Magd dem Kochen vorstehen sollte, so fängt mein
Weib den größten Lärm und Spectakel
an […]
Mit einem Wort gesagt, sie ist ein sehr
bößes Weib, die nur darauf anträgt, mich nur
immer zu chiquaniren, und alles zu thun, was
mir, meiner Ehre und meinem Haußwesen
aüßerst nachtheilig ist und mir Kränkungen
verursacht. […] Da ich der Mann
nicht bin, der Bößes mit Bößem vergelten mag
und mein Weib troz ihrem Bößen Maul noch
nie mißhandelt habe, oder je Mißhandlen
werde […], so erlaube ich
mir, die gehorsamste Bitte an Eüer
Hochwürden Herrn Decan zu stellen,
doch gütigst mein Weib zu sich komen zu
laßen, um derselben zu Wiederherstellung
der häußlichen Ruhe und Eintracht
recht ins Gewissen zu sprechen, und ihr
[…] Reinlichkeit als
das einzige Mittel des häußlichen Friedens
anzuempfehlen [und] der Magd, bis
man sich überzeügt hat, daß mein Weib
reinlicher geworden und man ohne
Ekel zu haben etwas eßen kann,
lieber ganz und gar die Küchen und
das Kochen zu überlassen […] damit meine
Leüte, die ich zu meinem Gewerbe
brauche, nicht Ursache haben, sich
zu beklagen, und aus Verdruß ihre
Schuldigkeit vernachläßigen.
Wird mein Weib sich zu diesen gewiß
nicht unbilligen Bedingungen nicht ver-
stehen wollen, so [würde] ich auf
Scheidung von Tisch und Bett antragen
müßen, denn ich will mein Leben
als ein friedliebender Mann
nicht im Zwist und Verdruß dahin-
welken sehen und am Ende aus
Mißvergnügen noch ein schlechter Vater
und übler Haushälter werden, was
aber Gott in Gnaden verwahren
wolle.
Ich […] will der Hoffnung leben,
daß Eüer Hochwürden der Herr
Decan mehr über mein Weib
vermögen als ich. Für Dero
gütige Bemühungen werde ich Ihnen
Zeitlebens innigst dankbar seyn.
Ich bin hochachtungsvollest
Eüer Hochwürden des Herrn Decan
ganz gehorsamster
Heilig
Ellwangen d. 22. Jäner 1828.“
[StadtA Ellwangen, N13-A 1, Fol. 8]